Vom Bolzplatz zur Weltspitze

Jérôme und Kevin-Prince Boateng, Lukas Podolski sowie Mesut Özil sind seit Jahren internationale Stars. Doch auch sie haben klein angefangen: Auf den Bolzplätzen von Berlin, Köln und Gelsenkirchen

Verteidiger Jérôme (r.) wurde am 3. September 1988 in West-Berlin geboren. Sein Profidebüt gab der 1,92-Meter-Hüne für Hertha BSC und spielt seit 2011 für FC Bayern München. Kevin-Prince (l.) kam am 6. März 1987 ebenfalls in West-Berlin zur Welt. Über Hertha BSC und AC Mailand landete der Mittelfeldspieler bei UD Las Palmas. George kickt inzwischen in der Berliner Amateurliga und verdient seine Brötchen als Rapper.

Der harte Betonboden lässt bei häufigem Auftreten die Gelenke schmerzen, dieser Käfig ist kaum größer als ein Strafraum auf einem echten Fußballplatz.Hier hat alles angefangen, hier kickten in den 90erJahren Jérôme, Kevin-Prince und der große Bruder George Boateng. Damals wussten sie noch nicht, dass sie in diesem Käfig den Grundstein für eine erfolgreiche Karriere als Profifußballer legen würden – aber sie träumten davon. „Komm, lass Panke gehen“, sagten sie als Kinder, wenn die schönste Zeit des Tages anbrach: Fußballspielen!„Es ging zwei gegen zwei oder vier gegen vier. Wir haben immer Rüberschießen gespielt, also ohne Abseits oder Foulspiel, mit Bande, geschossen werden durfte nur aus der eigenen Hälfte. Jeder musste sich einen Spieler auswählen, den er darstellte. Wir haben uns natürlich die besten Fußballer ausgesucht: Olli Kahn, Zinédine Zidane, Rivaldo oder Ronaldo“, erinnert sich Jérôme.

Gemeinsam verbrachten die drei ungleichen Brüder fast jeden Nachmittag bis spätabends im Käfig. Was dann passiert, klingt ein bisschen nach klassischer Märchenstory, hat sich aber tatsächlich so abgespielt: Eines Abends schaut zufällig ein Jugendtrainer von Hertha BSC vorbei – beim Kicken in Gummistiefeln. Die Jungs werden zum Probetraining eingeladen, von da an geht alles sehr schnell. Der Startschuss ist gefallen für den steilen Aufstieg der Boatengs. „Die Panke war mein Zuhause“, sagt Kevin-Prince. „Ihr habe ich alles zu verdanken. Jede freie Sekunde war ich in diesem Käfig.“

Heute sind die Boateng-Brüder im goldenen Käfig des Fußballzirkus gelandet. Als erfolgreiche Nationalspieler, Kevin-Prince spielt für Ghana, liegt ihnen gefühlt die ganze Welt zu Füßen. Die Kindheit zwischen Schule und Bolzplatz, zwischen Dönerbuden und Teppichläden, zwischen Spielhallen und Ramschläden im einstigen Berliner ¬Problembezirk hat sie dennoch geprägt. Bruder George schnürt sich seine Buffer noch heute für den Nordberliner SC in der Berlin-Liga, hat sich als Kampfhundzüchter und Rapper seinen eigenen, wenn auch etwas anderen Traum erfüllt.

Er ist aber auch das schwarze Schaf der Familie, saß eine achtmonatige Haftstrafe wegen Körperverletzung ab. Nun ist er als Musiker erfolgreich, dabei galt er ursprünglich als der talentierteste Kicker der Familie. Auch die Karriere von Kevin-Prince folgte nicht unbedingt einem Matchplan. Bei Hertha BSC, Borussia Dortmund und Schalke 04 eckte er mit seiner direkten Art immer wieder bei Trainern und Verantwortlichen an. Nur beim AC Mailand, wo er unter Trainer Massimiliano Allegri schnell zum Star reifte, lernte man seine großspurige Art zu schätzen. In der Saison 2012/2013 trug er sogar das Trikot mit der Rückennummer 10.

Aktuell kickt er bei UD Las Palmas auf Gran Canaria in der Priméra División. Die steilste Karriere hat zweifelsohne Jérôme hingelegt, der bei Bayern München zu einem der besten Verteidiger der Welt herangereift ist. Drei Brüder, drei unterschiedliche Karrieren – und dennoch haben sie es alle irgendwie geschafft. Der eine ein bisschen mehr, der andere etwas weniger. Auch, weil sie noch immer keinen Hehl daraus machen, woher sie kommen und was sie prägte. Vielleicht macht gerade diese Demut die Boateng-Brüder so erfolgreich.
Der Stürmer wurde am 4. Juni 1985 im polnischen Gliwice geboren. 129-mal lief er als Nationalspieler auf und erzielte dabei 48 Tore. 2014 wurde er in Brasilien Weltmeister. Als Vereinsfußballer stand er beim 1. FC Köln, FC Bayern München, FC Arsenal, Inter Mailand und momentan bei Galatasaray Istanbul unter Vertrag.

Auch Lukas Podolski musste lernen, sich durchzuboxen. Der Mann mit dem Dauergrinsen war zwei Jahre alt, als seine Eltern mit ihm das polnische Gliwice verließen, um in Deutschland einen Neuanfang zu wagen. Für „Poldi“ begann damit eine harte Zeit, zu Hause wurde nur Polnisch gesprochen, im Kindergarten und der Schule Deutsch. Doch es gab diesen einen Ort, an dem die Sprache egal war: den Bolzplatz. Dort setzte er sich gegen alle durch. „Wir sind mit Freude dahin und mit Freude auch wieder nach Hause gegangen. Für mich stand der Spaß absolut im Vordergrund. Das Wichtigste: Power, Einsatz und schnelle Abschlüsse.

Tricks gehörten natürlich auch zum Spiel auf der Straße, egal ob das vier gegen vier oder fünf gegen fünf war“, sagt Podolski heute über seine Zeit Anfang der 90er-Jahre.

Ein besonderes Merkmal kristallisierte sich beim Bolzen schnell heraus: sein unglaublich starker linker Fuß. 1994 ist er neun Jahre alt, als ihn ein Talentscout des 1. FC Köln entdeckt. Als großer FC-Fan ist es für ihn die Erfüllung eines Traums. Noch heute spricht Podolski von „meinem Stadion“ und „meinem Verein“, wenn es um den Klub mit dem Geißbock im Logo geht. Podolski ist so gut, dass er später bei ¬Bayern München, Arsenal London und Inter Mailand landet und inzwischen bei Galatasaray Istanbul spielt. Nicht zu vergessen sein WM-Titel 2014 in Brasilien mit der Nationalmannschaft.

Seine spielerischen Wurzeln in Köln-¬Gremberghove hat er jedoch nie vergessen: „Ich habe als Kind immer auch auf Bolzplätzen und auf der Straße gekickt. Das war eine sehr schöne, aber auch harte Zeit. Ich musste um alles kämpfen. Ich habe nie vergessen, wo ich herkomme“, sagt Podolski. Auch deshalb sammelt er heute über seine Stiftung viel Geld, um marode Bolzplätze zu sanieren.
Der Spielmacher erblickte am 15.Oktober 1988 in Gelsenkirchen das Licht der Welt. Bisher kickte er für Schalke 04, Werder Bremen, Real Madrid und momentan Arsenal London. In 83 Länderspielen schoss Özil 21 Tore. 2014 wurde er in ¬Brasilien Weltmeister.

Ein waschechtes Bolzplatzkind ist auch Mesut Özil. Der Sohn türkischer Einwanderer wuchs im tiefsten Ruhrgebiet auf. Der Lieblingsort des kleinen Jungen war der Bolzplatz an der Olgastraße im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck, einem Multikulti-Viertel im Osten der Stadt. Liebevoll „Affenkäfig“ genannt, ist der Platz eine Mischung aus Aschen- und Schotterplatz, umzäunt von unzähligen Stahlgittern.
Der heutige Nationalspieler bolzte dort mit seinem Bruder Mutlu und anderen Jungs aus dem Viertel. Jeden Tag traf man sich am Elektrokasten vor dem Käfig. Waren die Beine müde, gab es am „Büdchen“ in der Nähe Wassereis oder eine von diesen bunten Tüten mit Süßigkeiten. „Ich bin immer noch gern dort. Es ist ein Stück Heimat. Man darf nicht vergessen, wo man herkommt“, sagt Özil. „Der Affenkäfig sieht aber ganz schön einsam aus, da spielen kaum noch Kinder. Schade.“

Durch die Zäune war der Ball immer im Spiel. Keine Pausen, viel Technik. Seine Gegenspieler lobten ihn, prophezeiten dem kleinen Mesut schon damals eine große Zukunft als Fußballer. Akribisch studierte Özil die Tricks seines großen Idols Zinédine Zidane ein, übte den Schuss des Brasilianers Ronaldo und die präzisen Flanken von Luís Figo. Schnell wurde klar, dass der Ball ein verlängerter Teil seines Körpers ist. Der Straßenkicker: „Es gab nur Fußball für uns, von morgens bis abends. Wir haben alles andere um uns herum vergessen und oft so lange gespielt, bis man den Ball nicht mehr sehen konnte. Es gab sogar eine richtige Straßenmeisterschaft. Wenn wir verloren haben, mussten wir den Siegern Döner ausgeben. Manchmal war das blöd, weil wir ja nur fünf Mark Taschengeld bekamen und die waren dann schnell weg.“

Diese Zeit formte den heutigen Superstar. Über die Stationen Schalke 04 und Werder Bremen landete er nach der WM 2010 bei Real Madrid. Aktuell streift er sich das Trikot von Arsenal London über und ist zu einem der großen Stars der Premier League geworden. Über 30 Millionen Fans hat er bei Facebook, zehn Millionen folgen ihm bei Instagram. Er sagt: „Man muss Spaß haben. Es ist noch heute so, dass ich nur wirklich gut bin, wenn ich so spiele wie früher. Wie damals im Affenkäfig.“

Bolzplätze in deiner Nähe: www.bolzplatz.com